Rumposaunen oder doch Maske?

MaskeIch, 25 Jahre alt, habe einen zwei Jahre jüngeren Bruder, der das Down-Syndrom mit autistischen Zügen hat. Seine größte Baustelle ist die aktive Sprache, da er lediglich über Laute oder sehr einzelne Namen und Worte verfügt. Jeder, wirklich jeder, der ihn nicht kennt aber von meiner Situation erfährt, sagt immer zuerst: „Das sind doch ganz liebe Menschen“. Dann erkläre ich allerdings, dass nicht jeder der das Down-Syndrom hat, gleich ist, genauso wie auch wir ohne Down-Syndrom nicht immer gleich sind und weise auf sein Spracheproblem hin, das bei uns unter anderem kein Lesen zulässt. Spätestens dann kommt die entsetzte Frage: „Wie kommuniziert ihr dann miteinander?“ Inzwischen antworte ich immer, mal lässig und mal genervt und mal lachend, mit der Gegenfrage: „Wie kommunizierst du mit einem Kleinkind, dass noch nicht spricht aber sehr wohl hören und verstehen kann? Wie kommunizierst du mit dem Kleinkind wenn du ihm sagst, wir gehen jetzt zu Oma?“ Die Reaktion des Gegenüber ist meistens ein verlegenes Stottern von versuchten Antworten.

Ich war immer stolz auf meinen Bruder
Ich bin und war immer stolz auf meinen Bruder. Natürlich gab es Momente, in denen ich einfach nur genervt und enttäuscht als Geschwisterkind gehandelt habe und sauer auf ihn war, weil etwas nicht realisierbar war. Aber die oben beschriebene Ausgangssituation ist einer der häufigsten Momente, in denen ich mir innerlich zeitweise vorgenommen habe, es jedoch nie schaffte umzusetzen: „Nächstes Mal gar nicht erst erwähnen – das bin dann möglicherweise nicht ganz ich aber es ist viel einfacher“.

Vor fünf Jahren lernte ich meinen inzwischen besten Freund kennen, der das Ganze so anstellte, wie ich es mir geschworen hatte. So kam es, dass wir uns bis dahin schon zwei Jahre kannten, aber weder er noch ich wussten, dass unser Gegenüber auch einen erwachsenen Bruder mit dem Down-Syndrom hat. Er war derjenige, der mir zuerst seine Situation eröffnete, jedoch nur im kleinen, abgesteckten und für ihn sicheren Rahmen. Ursprünglich ging es primär bei seiner Erzählung um einen Streit mit seiner damaligen Freundin, die wenig Verständnis für seine Situation hatte.

Endlich jemand, der innerlich ähnlich tickt
Ich sog diese Informationen quasi auf und musste mich zusammenreißen, nicht zu aufdringlich an seiner Erzählung zu kleben, da ich mich so sehr freute, endlich einen Menschen gefunden hatte, der innerlich ähnlich tickt und es diesmal nicht ich war, die „SO ETWAS“ erzählt. Er versuchte, mir die Behinderung zu erklären. Dabei betonte er besonders die Vorzüge und verschönte dabei die Nachteile, bis ich ihm irgendwann fast lachend ins Wort fiel und sagte: „Stopp, entschuldige bitte mein Lachen, das ist definitiv kein Auslachen, ABER das ist definitiv sonst echt immer meine Aufgabe.“ Ich erläuterte ihm meine Situation, und er war fast sprachlos obwohl er immer das letzte Wort hat.

Seither sehen wir uns mit anderen Augen. Wir haben eine gemeinsame innerliche Basis, die nicht erst geschaffen werden muss – der Nenner ist schon identisch! Immer wenn wir uns alleine begegnen, haben wir ein anderes Miteinander, als wenn andere Freunde dabei sind – ohne dass es dabei zwangsläufig um unsere Exotenstellung geht. Denn wenn wir unter dem „Normalen Volk“ sind, dann kennt man uns beide definitiv nur als „Rampensau“.

Ich möchte keine Maske tragen
Ich habe mich dazu entschieden, keine Maske anzulegen und weiterhin meine Geschichte zu erzählen, wenn es denn passend ist. Eine Maske möchte ich nicht tragen. Ich stehe zu meinem Bruder und möchte auch weiterhin immer für ihn da sein. Da kann mir über den Weg laufen wer möchte.