Schattenkind: Wer bin ICH?

Hallo ihr Geschwister von einem Menschen mit Behinderung!

Ich will schon seit einiger Zeit einen Beitrag für diese Seite schreiben. Allerdings weiß ich immer noch nicht so recht, was da rein soll, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll.
Ich finde gerade den Spagat zwischen „ich erzähle ‚meine‘ Geschichte“ und „eigentlich ist es privat und geht keinen etwas an“ auch sehr schwierig. Trotzdem möchte ich es hier versuchen.

Vielleicht zunächst einmal ein paar Informationen zu mir. Ich heiße Miriam, bin 23 Jahre alt und komme aus der Nähe von Würzburg. Natürlich erfülle ich das „Geschwister-Klischee“ zu 100 Prozent und bin beruflich in der sozialen Schiene gelandet. Meine Schwester ist drei Jahre jünger als ich und hat eine Körperbehinderung (Dysmelie beider Arme und Hände). Geistig hat sie jedoch keinerlei Einschränkungen.

Sie ist schon seit ihrer Geburt so und für mich als Dreijährige war es damals nichts „besonderes“, sondern ganz normal, dass Babys so aussehen. Ich dachte die Arme und Hände wachsen dann einfach noch und dann sieht sie irgendwann genauso aus wie ich und alle Anderen. Ich weiß gar nicht, wann ich begriffen habe, dass sie eine Behinderung hat.

Ich habe es geliebt, von meiner Schwester zu erzählen
Als ich in die weiterführende Schule gekommen bin und die Leute dort meine Schwester nicht kannten, habe ich immer voller Stolz erzählt, was sie alles (besonderes) kann. Ich glaube, ich habe es geliebt von ihr zu erzählen.

Später, als ich in der Pubertät war, habe ich mich oft fürchterlich mit unserer Mutter gezofft, weil sie in meinen Augen viel zu viel für meine Schwester getan und sie total „verhätschelt“ hat. Obwohl meine Schwester eigentlich viel selber machen kann. Ja ok – manchmal braucht sie etwas länger und es ist anstrengender für sie, aber trotzdem hätte sie es selbst machen können, wenn – z.B. am Wochenende – Zeit dazu war. Ich fühlte mich zurückgesetzt und würde mich auch aktuell selbst definitiv als „Schattenkind“ bezeichnen.

Was ist eigentlich meine Geschichte?
Seit etwa einem Jahr setze ich mich nun intensiver mit dem „Geschwister sein“ auseinander und bin auf der Suche nach Austausch mit anderen Geschwistern.  Auch jetzt erzähle ich meist noch mit Stolz von der Ausbildung meiner Schwester, ihrem Auto, was sie alles kann, wie sie ihr Leben meistert, … Meistens versuche ich jedoch, die Erzählungen über sie zunächst einmal etwas zurück zu halten.  Ich möchte, dass die Leute mich und meine Geschichte kennenlernen und nicht die meiner Schwester. Das ist jedoch manchmal gar nicht so einfach, denn wer bin ich überhaupt? Was kann ich? Was macht mich aus? Was ist eigentlich MEINE Geschichte?

Zu meiner Geschichte gehört auf alle Fälle, dass ich seit der Grundschule Klarinette spiele. Außerdem lese ich unglaublich gerne und habe inzwischen auch die Natur und ausgedehnte Spaziergänge für mich entdeckt. Alles weitere muss/will ich für mich erst noch herausfinden.

Ich hoffe, meine Geschichte trägt dazu bei, anderen Erwachsenen, oder auch Geschwisterkindern von Menschen mit Behinderung, zu zeigen, dass sie nicht nur im Schatten neben ihrem Geschwister stehen, sondern ebenfalls in der Sonne strahlen können.