Hallo zusammen! Ich bin Sabrina, 18 Jahre alt und komme aus Zürich. Ich mache derzeit die Ausbildung zur Fachfrau Betreuung im Behindertenbereich und wohne nicht bei meinem Bruder. Mein jüngerer Bruder Simon (15) hat eine nicht-diagnostizierte Behinderung. Er ist kognitiv beeinträchtigt und spricht in 2-3-Wort-Sätzen.
Auf einen Teil bin ich froh, dass ich keine genaue Diagnose seiner Behinderung habe, denn ich frage mich immer mal wieder *Was bringt mir eine Diagnose. Die Behinderung verschwindet auch mit Diagnose nicht*. Es mag vielleicht hart klingen, jedoch ist es auch Realität.
…zueinander gefügt haben sie eine grosse Wirkung…
…was, wenn?
Was, wenn – er eine stärkere Behinderung hätte?
Was, wenn – er eine Diagnose hätte?
Was, wenn – er von Kindesbeinen an in einer Institution gelebt hätte?
Was, wenn – er nicht so gut in der Gesellschaft aufgenommen worden wäre?
Was, wenn – er keine Beeinträchtigung hätte und „normal“ wäre? Diese Frage stelle ich mir oft. Es ist eine unbeantwortbare Frage. Was auch gut so ist. Trotzdem versuche ich sie mir immer wieder zu beantworten. Meine Antwort ist meist, es ist so wie es ist und es ist gut so wie es ist. Denn wenn es nicht so wäre, hätte ich vielleicht nicht so ein enges Verhältnis zu ihm. Sicherlich wäre es auch schön, wenn ich mit ihm alleine zu Hause bin, spontan sagen zu können, ich gehe noch in die Stadt. Das ist nicht möglich, da er nicht alleine zu Hause sein kann.
…was, wenn die schönen Momente überwiegen?
Ich kenne keinen so liebevollen und empathischen Menschen wie ihn. Zum Beispiel, sobald es seiner Ina (wie er zu mir sagt) nicht gut geht, fragt er was los sei und umarmt mich und gibt mir einen dicken Schmatz auf die Wange. Er weiß meist vor mir, dass es mir nicht wohl ist oder mir was auf dem Herzen liegt. Ich sage dann meist, er habe einen siebten Sinn.
Eine Geschichte möchte ich euch nicht vorenthalten: Ich war gerademal zwei Tage bei der Arbeit und am Abend zu Hause klingelte das Telefon. Mein Bruder. Ich nahm ab und begrüßte ihn. Es ist schwierig, mit ihm per Telefon zu kommunizieren. Ich fragte ihn, warum er mich anruft, da meint er: *i di misst (ich habe dich vermisst)*. Wir sprechen noch eine Weile, dabei kam raus, dass es daran gelegen hatte, dass er sich nicht richtig von mir verabschieden konnte, als er mich das letzte Mal sah. Er meinte am Ende des Telefonates: *Gäll, du bald heicho? I di fest gern (Wann kommst du nach Hause? Ich habe dich fest gerne)*. Mir kamen am anderen Ende fast die Tränen, weil er nur selten solche Aussagen am Telefon macht. Als ich das nächste Mal nach Hause kam, umarmte er mich so fest, dass ich fast den Stand verloren hätte. ☺
Es ist schön diese Gedanken und Geschichten an Menschen weitergeben zu können, die das gleiche Schicksal haben und verstehen wovon man spricht. Ich hoffe auf mehr herzerwärmende Geschichten von euch zu verschiedenen Themen.
Herzlichst eure Sabrina