{Stille.}

Janina und DanielHallo ihr Lieben, ich bin Janina, 20 Jahre alt und lebe derzeit in Würzburg, weil ich hier Sonderpädagogik auf Lehramt studiere. Mein Bruder Daniel, zurzeit 22, leidet an einer schweren Form von frühkindlichem Autismus. Ich sage immer leiden, weil das für mich so scheint, aber wer weiß schon wie er das letztendlich sieht. Vielleicht findet er sein Leben auch schön und lebenswert, weil er ja kein anderes Leben kennt?

Eine Wand aus Stille
Das ist nur eine von vielen Fragen, die ich an meinen Bruder habe. Ich habe ihn schon als kleines Mädchen sehr geliebt, auch wenn er seine Zuneigung mir gegenüber immer eher durch Kneifen, an den Haaren ziehen und Schlagen ausgedrückt hat. (Das kennen wahrscheinlich viele von euch ☺ ) Und dass ich ihn sehr liebe, hat sich auch bis heute nicht geändert. Doch zwischen uns steht eine Wand. Eine Wand aus Stille. Denn Sprechen oder in irgendeiner anderen Weise kommunizieren, kann er bis heute leider nicht. Dadurch bleibt mir der Weg zu seinem Herz versperrt.

So viele Fragen
Ich wüsste so gerne welche Träume, Wünsche und Sehnsüchte mein großer Bruder hat. Ich wüsste gerne, wie er diese Welt sieht, ob er versteht, dass ich seine Schwester bin und wie er alles wahrnimmt. Will wissen warum er manchmal vor Freude in die Luft springt, aber warum er auch manchmal plötzlich anfängt laut zu weinen und nicht mehr aufhört. Will einfach mal ein Gespräch so von kleiner Schwester zu großem Bruder führen (Auch wenn sich das eher immer andersrum anfühlt). Ich hab so, so viele Fragen an ihn. Doch beantworten kann er mir auf dieser Seite der Welt wahrscheinlich keine.

Ein Lied über die Stille
Ich habe lange gebraucht um diese Gefühle ansatzweise in Worte packen zu können. Sprechen konnte ich nie wirklich mit jemanden darüber, wie diese Situation der Stille zwischen meinem Bruder und mir ist. Oft wusste ich ja noch nicht mal selber was ich denken und fühlen soll. Da ich oft meine Gedanken in Liedern zu Papier bringe, habe ich das auch mit diesem Thema gemacht. Entstanden ist das Lied „Silence“, in dem ich einfach beschreibe wie es mir mit all dem geht.

 

SILENCE
(Originaltext)

Letters flying out of my mouth
hovering in the silence
not moving from west to south

tears running down my face
a smell of salt reaches my nose
how my heart speaks when my mouth fails

{Refrain}

Everything that remains is silence
hope is swallowed by reality
no chance to discover at least a part of your soul
who are you as a whole
nothing is left except silence

All these years without a connection
from my heart to yours
is there even any affection?

Only hearing the echo of my voice
giving up talking
will that be my only choice?

{Bridge}

You told me about trust-
when all of my dreams are crushed
you told me about faith-
cause I am your daughter, not your slave

From below I only see,
threads and colors, chaos over me
but you, you see this tapestry from above

STILLE
(deutsche Übersetzung)

Buchstaben fliegen aus meinem Mund
Schweben in der Stille
Bewegen sich nicht von West nach Süd

Tränen fließen an meinem Gesicht runter
Der Geruch von Salz erreicht meine Nase
So spricht mein Herz  wenn mein Mund versagt

{Refrain}

Doch alles das verbleibt ist die Stille
Die Hoffnung wird von der Realität verschluckt
Keine Chance auch nur wenigstens einen Teil deiner Seele zu entdecken
Wer bist du als Ganzes? 
Nichts ist mehr übrig- außer dieser Stille

All diese Jahre ohne Verbindung
Von meinem Herzen zu deinem
Gibt es von dir aus denn irgendeine Zuneigung?

Ich höre nur das Echo meiner eigenen Stimme
Das Sprechen ganz aufzuhören
Wird das meine Entscheidung sein?

{Bridge}

Du hast mir von Vertrauen erzählt- 
wenn all meine Träume zerstört sind
Du hast mir von Glauben erzählt, 
weil ich deine Tochter bin und nicht ein Sklave
Von hier unten sehe ich nur, 
Fäden und Farben, ein Chaos über mir
Doch du, du siehst diesen Wandteppich von oben

 

Ich freue mich, diese Gruppe von Menschen gefunden zu haben, die endlich mal ein bisschen verstehen können, wie man sich fühlt. Die nicht nur sagen „Oh ja das verstehe ich“ sondern die das wirklich verstehen, weil sie es so oder in anderer Weise selber erlebt haben. Ich würde mich freuen mit euch darüber zu reden, Gedanken auszutauschen, Zweifel loszuwerden. Ich freue mich über eure Geschichten und Gedanken, zu diesem Thema oder einem anderen. Eure Janina. ☺

11 thoughts on “{Stille.}

  1. Liebe Janina! Deine Geschichte hat mich sehr bewegt! Vielleicht, weil ich auch 20 bin und mein großer Bruder (25) ebenfalls frühkindlicher Autist ist. Manchmal frage ich mich die selben Fragen, aber irgendwie glaube ich ganz fest, dass unsere Brüder uns sehr lieb haben, vielleicht auf eine andere Weise als wir es tun, aber doch …
    Es ist sehr mutig und toll von dir, dass du deine Gedanken und Gefühle in Worte bzw. Klänge fassen kannst. Inspirierend!
    Ich würde mich freuen ein paar mehr Gedanken und Erfahrungen auszutauschen!
    P.S: Die Sache mit dem an den Haaren ziehen kenne ich nur zu gut! 😉

    • Hey Frauke. 🙂
      Hab garnicht gemerkt, dass Leute hier darunter kommentiert haben, erst jetzt. Deswegen sorry dass ich erst so spät schreibe aber ich würde mich auch total über´s Austauschen von Erfahrungen etc. freuen! Wo lebst du denn, was machst du so?
      & wo ist dein Bruder? ist er noch bei euch daheim oder in einer anderen Wohneinrichtung?

      Mit ganz lieben Grüßen, Janina
      (kannst mir auch gern privat schreiben,also nicht über das Forum hier)

  2. Liebe Janina,
    Deine Gedanken haben mich (18) zu tiefst berührt. Mein Bruder (15) hat kein diagnostizierter Authismus, jedoch denke ich manchmal er ist wie in einer anderen Welt und nicht zu erreichen. Er reagiert teilweise auf Situationen für mich nicht nachvollziehbar, jedoch denke ich, jede Reaktion hat für ihn ein Ziel bzw. einen Sinn.
    Ich finde es toll, dass es Leute wie dich oder auch andere gibt, die offen über die Beeinträchtigung der Geschwister sprechen können.
    Und schau dir doch mal den Film „mon petit frére de la lune“ an. Es ist ein französischer Kurzfilm zum Thema Authismus.
    Ich danke Dir nochmals herzlich für deine schönen Zeilen, die Emir sehr ins Herz gegeangen sind.
    Liebste Grüsse Sabrina
    PS: Haare ziehen, schlagen und beissen kenne ich nur zu gut. 🙂

  3. Liebe Janina,

    deine Geschichte und Gedanken haben auch mich sehr beeindruckt.Ich bin fasziniert, wie du mit der Situation umgehst und deinen Bruder auch beschreibst.Besonders auch, weil ich gerade meine Bachelorarbeit zu folgendem Thema schreibe: „Vergesst mich nicht!“- Die Lebenssituation von Kindern mit einem geistig behinderten Geschwisterkind als Herausforderung für die Soziale Arbeit und ungefähr in deinem Alter bin.Ich bin 22 Jahre alt und studiere Soziale Arbeit,auch in Bayern.

    Meiner Meinung nach wird oft nur auf die Eltern und das behinderte Kind geschaut und noch zu wenig auf die Lebenssituation von einem Geschwisterkind. Deshalb ist es wichtig auf die Situation von Geschwister behinderter Kinder zu schauen und sie in ihrem Zusammenleben mit dem behinderten Geschwisterkind zu unterstützen.

    Für meine Arbeit fände ich es enorm spannend Geschwisterkinder nach ihren Erfahrungen zu fragen. Von dem her wollte ich dich fragen, ob du mir ganz kurz Fragen als Geschwisterkind beantworten könntest? Spannend finde ich vor allem auch die Tatsache, das dein Bruder älter wie du ist.

    Dazu hätte ich folgende Fragen an dich:

    „Wie würdest du die Beziehung zu deinem Bruder beschreiben? Was macht ihr zusammen?“

    „Welche Chancen siehst du im Zusammenleben mit einem behinderten Geschwisterkind?“

    „Welche Probleme ergeben sich für dich mit deinem Bruder?“

    „Wie war es für dich, als du als kleine Schwester deinen Bruder überholt hast, sprich wo sich eure Rollen getauscht haben?“

    Ganz, ganz vielen Dank schon einmal im Vorraus und Danke für deine Geschichte!!
    Liebe Grüße Theresa 🙂

    • Hallo Theresa,
      ich komme aus Köln, bin schon 60 Jahre alt, bin auch Geschwisterkind und arbeite als Sonderschullehrerin an einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung in Langenfeld.
      Habe im Februar 1978 (so lange schon her !) meine Examensarbeit (1. Staatsexamen) zum Abschluss des Studiums der Sonderpädagogik zum Thema: „Familien mit einem behinderten Kind aus der Sicht nichtbehinderter Geschwister“ geschrieben.Mit vielen Interviews.Es geht darin allerdings nicht nur um Geschwister mit einer geistigen Behinderung.
      Falls Du Interesse an der Arbeit oder an einem Austausch mit mir hast, melde dich.
      Viele Grüße aus Köln
      Ulla

      • Hallo Janina und Ulla,

        vielen Dank für die Antwort und vor allem die großzügige Unterstützung. Ich habe nun schon alles beisammen und bin in den Endzügen meiner Arbeit, da ich sie schon demnächst angeben werde.

        Aber nochmal danke für das Angebot!
        Alles Gute!
        Theresa

    • Hey Theresa 🙂
      Habe gerade erst gemerkt, dass hier Leute kommentiert haben, deswegen entschuldige meine späte Antwort.
      Schreibst du noch an der Bachelorarbeit oder musstest du sie schon abgeben?
      Ich kann mir auf jeden Fall mal Gedanken machen über die Fragen. Würde dich gerne unterstützen dabei, irgendwann kommt das ganze auf mich auch dann zu 🙂
      Liebste Grüße, Janina

      • Hallo Janina und Ulla,

        vielen Dank für die Antwort und vor allem die großzügige Unterstützung. Ich habe nun schon alles beisammen und bin in den Endzügen meiner Arbeit, da ich sie schon demnächst angeben werde.

        Aber nochmal danke für das Angebot!
        Alles Gute!

        Theresa

  4. Hallo Janina,

    als leitende Redakteurin der Zeitschrift L.I.E.S. Mitgliederzeitschrift der Lebenshilfe München und Mutter von 2 Kindern (eines Down-Syndrom, eins Normal-Syndrom) bin ich immer auf der Suche nach guten Themen für unser 4x im Jahr erscheinendes Heft.
    Dein Text und das Lied haben mir sehr gut gefallen, deshalb wollte ich fragen, ob wir das – zusammen mit einem Foto von Dir und Deinem Bruder – vielleicht in einer unserer nächsten Ausgaben veröffentlichen dürfen?

    Bitte melde Dich bei mir!

    Viele Grüße aus München

    Angelika

  5. Hallo liebe janina, ich (26 jahre) habe deine seite besucht und durchgelesen. Ich finde es erstaunlich, dass du dir in dieser, naja sagen wir mal nicht ganz einfachen Situation, noch diesen optimismus bewahrt hast.
    Ich habe eine kleine schwester (22 jahre), sie hat zwar keinen authismus (deshalb kann ich garnicht wirklich mitreden) aber sie ist geistig behindert. Auch mit ihr ist es nicht immer einfach und man wird als große schwester gleich noch ein Stück größer, wenn man gebraucht wird. Und man muss stark sein, auch wenn man manchmal einfach schwach sein möchte. Ich glaube das musstest du wahrscheinlich auch lernen. Ich wünsche dir ganz viel kraft, stärke und geduld, für deinen bruder und auch für dich selber.

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