Susanne und Wolfgang

Susanne und WolfgangHeute bin ich, Susanne (Doddi73), 40 Jahre alt. Wolfgang ist Spastiker und auch geistig etwas beeinträchtigt. Objektiv gesehen ist seine geistige Behinderung nicht so schlimm. Es dauert eine Weile, bis man seine geistigen Defizite bemerkt. Innerhalb unseres Familiensystems ist die geistige Behinderung  jedoch sehr belastend. Wolfgang lebt alleine in einer kleinen Wohnung in der Nähe meiner Eltern. Vor allem meine Mutter kümmert sich im Hintergrund sehr und ist emotional stark mit ihm verbunden, sprich: kann ihn nicht loslassen. Meine Eltern gehen sehr ambivalent mit der Situation um: einerseits ermöglichen sie ihm ein scheinbar selbständiges Leben, andererseits behandeln sie ihn wie ein Riesenbaby.

Meine mir auferlegte Rolle, mich später einmal um meinen Bruder zu kümmern, rückt unaufhaltsam näher! Und mit ihr Angst und Panik! Will ich diese Verantwortung? Kann ich sie tragen? Wo sind meine Grenzen? Ich war so verstrickt in diesem zermürbenden Familiengeflecht, bestehend aus Tabus und Erwartungen. Das hat mich richtig krank gemacht.

Nun habe ich mich nun auf den Weg gemacht, mich von meiner Familie emotional etwas abzunabeln, um hoffentlich irgendwann einmal zu erkennen, was ICH wirklich will und welche Kompromisse für mich in Ordnung sind. Es ist ein langer, steiler Weg, auch habe ich schon einige, sinnlose Therapien hinter mir. Aber jetzt fühlt es sich gut an! Diese fiesen, schlaflosen Nächte habe ich trotzdem noch manchmal. Da kommen urplötzlich diese Ängste. Wie Dämonen zermartern sie mein Hirn. Ich möchte nicht wissen, wie es erst wird, wenn meine Eltern wirklich einmal pflegebedürftig oder gestorben sind? Und/oder der körperliche Zustand meines Bruders immer schlechter wird?

Es ist ein anstrengender, steiler Weg. Mut macht mir, dass mein Bruder auch ein „Lehrer“ für mich ist, dass er mir jeden Tag vor Augen hält, worauf es im Leben ankommt. Mut machen mir auch mein Mann und meine Kinder, die mich immer sehr tatkräftig und mitfühlend unterstützen.

Und Mut macht mir auch, Sascha und Amir gefunden zu haben und hoffentlich hier noch eine ganze Menge mehr Menschen zum Austausch.

One thought on “Susanne und Wolfgang

  1. Liebe Susanne,

    deine Geschichte und Gedanken haben auch mich sehr beeindruckt.Ich bin fasziniert, wie du mit der Situation mit deinem Bruder umgehst.
    Ich schreibe gerade meine Bachelorarbeit zu folgendem Thema: “Vergesst mich nicht!”- Die Lebenssituation von Kindern mit einem geistig behinderten Geschwisterkind als Herausforderung für die Soziale Arbeit.

    Meiner Meinung nach wird oft nur auf die Eltern und das behinderte Kind geschaut und noch zu wenig auf die Lebenssituation von einem Geschwisterkind. Deshalb ist es wichtig auf die Situation von Geschwister behinderter Kinder zu schauen und sie in ihrem Zusammenleben mit dem behinderten Geschwisterkind zu unterstützen.

    Für meine Arbeit fände ich es enorm spannend Geschwisterkinder nach ihren Erfahrungen zu fragen. Von dem her wollte ich dich fragen, ob du mir ganz kurz Fragen als Geschwisterkind beantworten könntest? Spannend finde ich vor allem auch die Tatsache, das dein Bruder älter wie du ist.

    Dazu hätte ich folgende Fragen an dich:

    “Wie würdest du die Beziehung zu deinem Bruder beschreiben? Was macht ihr zusammen?”

    “Welche Chancen siehst du im Zusammenleben mit einem behinderten Geschwisterkind?”

    “Welche Probleme ergeben sich für dich mit deinem Bruder?”

    “Wie war es für dich, als du als kleine Schwester deinen Bruder überholt hast, sprich wo sich eure Rollen getauscht haben?”

    Ganz, ganz vielen Dank schon einmal im Vorraus und Danke für deine Geschichte!!
    Liebe Grüße Theresa 🙂

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